Wie sah die Welt vor dem Sündenfall aus?

Kerstin Marzinzik

Wie sah die Welt vor dem Sündenfall aus? Anders, als wir uns das oft vorstellen! Deutlich „besser“ als die Welt von heute – aber nicht so paradiesisch, wie wir manchmal denken.

Es gab Arbeit

Auch vor dem Sündenfall mussten die Menschen schon arbeiten, denn Gott gab ihnen den Auftrag, den Garten Eden „zu bebauen und zu bewahren“ (1.Mo 2,15). Arbeit an sich ist nicht schlecht; Arbeit ist kein „Fluch“. Das kennt jeder, der ein Hobby hat. Basteln, Malen, Handwerken, Backen, Imkern usw. ist mit Arbeit verbunden – aber es bringt gleichzeitig viel Spaß und die Arbeit wird nicht als Last empfunden. Der Mensch muss nicht erst seit dem Sündenfall arbeiten, aber durch den Sündenfall wurde die Arbeit mühsam und beschwerlich.

1.Mo 3,17-18: […] so sei der Erdboden deinetwegen verflucht: Mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen!

Garten in Eden

Ein Hinweis darauf, dass die Welt vor dem Sündenfall nicht so idyllisch war, wie wir uns das manchmal vorstellen, könnte die Tatsache sein, dass Gott nach Schaffung der Erde noch einen besonderen Garten in Eden pflanzte (1.Mo 2,8) und den Menschen dorthin setzte. Dieser Garten war ein besonderer Platz, vielleicht besonders geschützt und von der übrigen rauen Welt etwas abgeschirmt. Über Sinn und Zweck dieses Gartens macht die Bibel keine weiteren Angaben; darüber könnte man nur spekulieren. Dennoch ist es interessant, dass es ihn gab! „Eden“ heißt „Wonne“. Es war also ein besonders schöner Platz auf der Erde. Er wurde von Flüssen bewässert (musste also nicht mühsam vom Menschen bewässert werden). Außerdem gab es dort Gold, wohlriechendes Harz und Schoham-Steine. Ein Ort, an dem man sich wohl fühlen konnte und an dem es eigentlich an nichts mangelte…

Außerdem gab es in Eden zwei besondere Bäume: den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen (1.Mo 2,9).

Schlange in Eden

In 1.Mo 3,1 erfahren wir, dass „die Schlange“ (d. h. der Teufel/Satan, vgl. Off 12,9; 20,2) Zutritt zum Garten Eden hatte. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass „das Böse“ schon vor dem Sündenfall des Menschen gegenwärtig war – selbst im geschützten Bereich des Garten Edens!

Es gab schon Tod

2.Pt 2,12: […] wie unvernünftige Tiere, von Natur aus zum Eingefangenwerden und Verderben geboren

Dieser neutestamentliche Vers deutet an, dass die Tiere zum Verderben/Vergehen, d. h. zum Tod bestimmt sind. Allerdings ist damit nicht explizit gesagt, dass dies bereits vor dem Sündenfall so war. Dies könnte man aber aus Ps 104 schließen, der im Allgemeinen mit der Schöpfung in Verbindung gebracht wird. Dort wird gesagt, dass die Löwen ihre Speise von Gott fordern – und zwar „Raub“, d. h. Getötetes:

Ps 104,21: Die Junglöwen brüllen nach Raub, sie fordern von Gott ihre Speise.

Doch die ersten Kapitel der Bibel geben auch selbst Hinweise auf Tod und Sterben vor dem Sündenfall.

1.Mo 3,19: Im Schweiße deines Angesichts wirst du [dein] Brot essen, bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren!

Dieser Vers schließt die Ausführungen Gottes ab, was sich für Adam durch den Sündenfall ändern würde. Dabei erscheint das Zurückkehren zum Erdboden nicht als Strafe, sondern als zeitliche Begrenzung der Mühsal, die der Mensch in Zukunft haben würde. Die Menschen scheinen von Anfang an sterblich gewesen zu sein.

Außerdem kündigte Gott Adam und Eva vor dem Sündenfall an, dass sie sterben würden, wenn sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen essen würden (1.Mo 2,16-17). Diese Warnung macht wenig Sinn, wenn Adam und Eva nicht wussten, was Sterben ist, weil sie die Warnung dann nicht hätten verstehen können. Gott hätte sich die Begründung für sein Gebot dann sparen können. Und es erscheint auch ungerecht, sie für eine Handlung zu bestrafen, deren Konsequenz sie gar nicht verstehen konnten.

Allerdings scheint Gott in 1.Mo 2,16-17 („an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben“) auch gar nicht an den leiblichen Tod gedacht zu haben. Denn Adam und Eva starben nicht am gleichen Tag den körperlichen Tod. Sonst wäre das „Experiment Mensch“ sofort zu Ende gewesen, denn Adam und Eva zeugten erst nach dem Sündenfall Nachkommen. Sie wurden aber aus dem „Paradies“, dem Garten Eden, vertrieben, und verloren die enge Gemeinschaft mit Gott. Es ist daher nahe liegend, hier an den Tod im geistlichen Sinne zu denken. Es ist auch nichts ungewöhnliches, dass Gott geistliche Inhalte mittels irdischer Sachverhalte ausdrückt – das tut er öfter (vgl. Artikel »Wörtlich oder symbolisch?«). Und nur durch die Analogie mit irdischen Dingen können wir gewisse Einblicke in geistliche Dinge bekommen, die unserer direkten Wahrnehmung nicht zugänglich sind.

Andere versuchen, an der Einführung des leiblichen Todes durch den menschlichen Sündenfall festzuhalten, indem sie den Ausdruck „an dem Tag“ in 1.Mo 2,16-17 aufweichen und im Sinne von „Zeitraum“ interpretieren. Doch dann kommt man zu einer Deutung, die zumindest von Vertretern der Sechs-Tage-Schöpfung in 1.Mo 1 kategorisch abgelehnt wird. Nach ihrer Bibelauslegung werden die Schöpfungstage zwingend als 24-Stunden-Tage angesehen. Hier tut sich also ein gewisser innerer Widerspruch auf.

Bemerkenswert ist, dass Menschen, die ohne Gott leben, auch an anderen Stellen in der Bibel als „tot“ bezeichnet werden – ebenfalls im geistlichen Sinne:

Eph 2,1: Auch euch [hat er [Jesus Christus] auferweckt], die ihr tot wart in euren Vergehungen und Sünden

Eph 2,5: auch uns, die wir in den Vergehungen tot waren, mit dem Christus lebendig gemacht — durch Gnade seid ihr gerettet!

Eph 5,14: denn alles, was offenbar wird, ist Licht. Deshalb heißt es: »Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten!, und der Christus wird dir aufleuchten!«

Die Christen, die hier angesprochen sind, waren einst – obwohl körperlich äußerst lebendig – geistlich tot. Aber durch den Glauben an Jesus Christus sind sie (bildlich gesprochen) mit Christus aus diesem Zustand des Todes auferweckt und lebendig gemacht worden. Damit schließt sich quasi der Kreis. Ein Christ ist aus dem Zustand des (geistlichen) Todes, in dem sich die Menschheit seit dem Sündenfall befindet, befreit. Er ist (geistlich) lebendig; er besitzt ewiges Leben – auch wenn er körperlich noch sterben wird (falls Christus nicht vorher wiederkommt).

Dass im Moment des Essens von der verbotenen Frucht ein geistlicher Tod stattfand, sehen auch Vertreter der Sechs-Tage-Schöpfung so. Nur gab es ihrem Verständnis nach vor dem Sündenfall in der Tier- und Menschenwelt keinen physischen (körperlichen) Tod.

Wie oben bereits erwähnt, hatte auch die Schlange, d. h. der Teufel oder Satan, Zutritt zum Garten Eden. Aus dem neuen Testament wissen wir, dass der Teufel Macht über den Tod hat.

Hebr 2,14: Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er [Jesus] in gleicher Weise daran Anteil gehabt, um durch den Tod den zunichte zu machen, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel […]

Die Bibel lässt allerdings offen, wann oder wodurch der Satan Macht über den Tod in der (Menschen-)Welt erhalten hat – ob durch seinen eigenen Fall (Satan ist ein gefallener Engel) oder erst durch den Sündenfall der Menschen.

Auf jeden Fall ist das Leben des Menschen durch die Gegenwart des Teufels in Eden massiv bedroht und er wird nicht umsonst als „Menschenmörder von Anfang an“ (Joh 8,44) bezeichnet.

Der Baum des Lebens

Bemerkenswert ist bezüglich der Frage nach dem Tod die Existenz des Baums des Lebens, der in der Mitte des Garten Eden wuchs (1.Mo 2,9). Welchen Sinn macht ein solcher Baum, wenn es keinen Tod gibt? Setzt seine Existenz nicht geradezu Tod voraus?

Interessant ist (neben seiner Existenz, s. o.) auch die bevorzugte Position des Baumes des Lebens in der Mitte des Gartens. Aus dem Hebräischen geht klar hervor, dass nur dieser Baum im Zentrum stand; der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen stand etwas abseits (vgl. Roger Liebi: Der Messias im Tempel).

Moralische Werturteile

Vor dem Sündenfall konnte der Mensch auch noch keine moralischen Werturteile fällen; er konnte (wie die Tiere) nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden. Das kam erst nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen (d.h. dem Sündenfall), vgl. 1.Mo 2,17; 3,22.